Licht und Steine

Ich kann mich noch an meine leise Enttäuschung erinnern, als ich 1996 zum ersten Mal am Rand des Grand Canyons stand. Klar, die Dimensionen dieser gigantischen Schlucht haben auch mir planmäßig den Atem verschlagen. Aber die Farben? Wieso war der Canyon so braun und grün? Und nicht rot leuchtend, wie ich es von zahllosen Bildern kannte? Ich verließ den Rand des Canyons mit dem Gefühl, um etwas betrogen worden zu sein. Mit dem Eindruck, dass er auf Fotos echter ausssah als in echt. Erst Jahre später traf mich die Erkenntnis: Der Grand Canyon scheint nur bei bestimmten Lichtverhältnissen rot zu leuchten – nämlich bei Sonnenaufgang und bei Sonnenuntergang. Kommen wir Physik-Nieten halt nicht so schnell drauf.

Aber was soll ich sagen? Ich habe das mir den rot leuchtenden Steinen sowas von nachgeholt! Nicht am Grand Canyon, da hat uns ein Gewitter einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber im Arches Nationalpark und in den Canyonlands im Juni. Und jetzt, bei unserem zweiten Aufenthalt im an Licht und Steinen reichen Utah erneut. Da Nico und ich nicht gerade zu den frühen Vögel gehören, hat es sich so eingeschlichen, dass wir Park-Besuche oder Wanderungen oft erst am späteren Nachmittag angehen – und dafür nicht nur mit abnehmenden Besucherströmen belohnt werden (die meisten anderen Touristen hören brav auf die Empfehlungen der Reiseliteratur, möglichst früh irgendwo zu sein, um Hitze und Menschenmassen zu entgehen), sondern auch mit diesem wunderbaren, weichen, langwelligen Abendlicht (wir Physik-Cracks kennen uns natürlich mit Lichtwellenlängen aus). Auch in den Capitol Reef Nationalpark rollen wir erst nach 16 Uhr – und zudem ziemlich spontan. Eigentlich hatten wir den im Vergleich zum Bryce Canyon oder zum Zion Nationalpark, die ebenfalls im südlichen Utah liegen, eher kleinen und weniger bekannten Park gar nicht so richtig auf dem Schirm. Aber unser Weg führt direkt daran vorbei  – warum also nicht einen kurzen Abstecher wagen? Und uns bleibt prompt die Spucke weg auf der Panoramastraße durch den Park: was für Felsformationen! Und was für ein Licht!

Ein paar Tage später ein ähnliches Szenario am Grand Staircase – Escalante. Kein Nationalpark, sondern nur ein National Monument. Am Highway 12 gelegen, dem scenicsten aller Scenic Byways, die wir bisher gefahren sind. Wir biegen ab, weil es hier ein paar kleine Slot Canyons gibt (wartet auf die Bilder gleich, dann seht Ihr, was ein Slot Canyon ist). Nicht so riesig und berühmt wie der Antelope Canyon in Arizona, der schon lange auf meiner Bucket List steht und den ich im Juni unbedingt besuchen wollte. Bis ich herausgefunden habe, dass sie einen dreistelligen Eintrittspreis dafür aufrufen – pro Person. Das war’s uns dann doch nicht wert – also steuern wir jetzt einen gar nicht berühmten aber dafür kostenlosen Vertreter seiner Gattung an. Am späten Nachmittag, ohne touristische Konkurrenz, dafür mit jeder Menge Abendlicht, das die organisch geschwungenen Wände und Vorsprünge mit ihren baumkuchenartigen Maserungen wie glühendes Eisen leuchten lässt.

Nächste Station aus Licht und Stein: der Bryce Canyon. Ein Amphitheater gefüllt mit Felsnadeln, -türmchen und -zinnen, die Wind, Frost, Sonne und Regen in Jahrtausenden geformt haben. Wie auf einer riesigen Open-Air-Bühne stehen die Figuren in den goldenen Strahlen der Abendsonne da. Eisenoxyde sorgen für de orange-rote Farbe der Felsen. An den Stellen, an denen das Eisen im Laufe der Zeit ausgewaschen wurde, schimmert das Gestein weiß. Wir wandern durch die felsigen Gärten des Amphitheaters und ich fühle mich wie in einem maurischen Palast gigantischen Ausmaßes mit all den schlanken Türmen und filigranen Ornamenten, die Zeit und Wetter geschaffen haben. Die Mauern und Zinnen glühen im späten Licht wie von innen heraus. Nie hätte vor Beginn dieser Reise gedacht, dass mich – bekennende Liebhaberin von üppigen Landschaften und alpiner Erhabenheit – die karge, felsige Schönheit der Wüste so mit Glück und Erfurcht erfüllen würde.

5 Kommentare

  1. Mehr geht ja wohl nicht mehr!!!!
    Sowas von beeindruckenden Bildern ohne Ende… Ich bin sprachlos!
    Und dann dieser blaue Himmel, das Licht, die Farben der Steine… sensationell!
    Danke für die fantastische Fotoschau!

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