Nicht von dieser Welt

Die Wüste ist ein fremder Ort für mich. Ich hatte bisher kaum Berührung mit dieser Landschaftsform. Und bin doch vom ersten Augenblick an zutiefst angezogen von dieser Fremdheit. Mitten in einem Sandsturm erreichen wir Utah und den Stellplatz am Rande des Wüsten-Städtchens Moab, den wir uns als Ausgangspunkt für Erkundungstouren in die umliegenden Nationalparks ausgesucht haben. Durch die Windschutzscheibe sehe ich Sandschleier durch die Luft wirbeln, durch den Vorhang aus feinen Körnern lassen sich die Umrisse bizzarer Felsformationen erahnen. Am nächsten Morgen hat sich der Wind gelegt – und ich bestaune mit meinem Kaffeebecher in der Hand die Szenerie um mich herum. „So stelle ich mir Afrika vor“, schießt es mir durch den Kopf. Glatte Steinplatten, dazwischen sandiger Boden, niedrige Büsche und Sträucher. Gewelltes Land, immer wieder unterbrochen von Felsrücken. Am Horizont schimmert im Dunst die Kette der La Sal Mountains, deren Berge fast pyramidenförmig aussehen. Auf der Karte sehen ich, dass wir uns in einem vor langer Zeit ausgetrockneten Flussbett befinden. Die karge Schönheit der spröden Landschaft berührt mein Herz. 
Eine Woche lang stehen wir mit unserem Bus in dieser archaischen Welt aus Stein und Sand und jeden Morgen befällt mich das gleiche Staunen, wenn ich die Bustür öffne und hinausblicke. Am Abend spannt sich ein samtschwarzes Firmament über uns, an dem wir mit bloßem Auge die Milchstraße erkennen können. Eine Million Sterne-Schlafplatz.

Eigentlich sind wir aber ja wegen der Nationalparks hier. Das Staunen geht weiter. An mehreren Tagen fahren wir spätnachmittags in den Arches Nationalpark. Da der längst kein Geheimtipp mehr ist und das Thermometer tagsüber außerdem auf über 30 Grad klettert, entscheiden wir uns für die Stunden kurz vor Sonnenuntergang – was sich als gute Idee erweist. Ohne Wartezeit passieren wir den Park-Eingang und begeben uns in eine kupferrote Traumwelt. Fantastisch geformte Felsen, Bögen, Säulen und Steinskulpturen von uralter Schönheit. Bei makellos blauem Himmel genauso überwältigend wie unter bleischweren Wolken. Und dieses Licht! Diese Farben! Ich habe so etwas noch nie gesehen und finde – auch, wenn ich selten um Worte verlegen bin – keine Beschreibungen, die mir angemessen erscheinen. Daher kommen hier einfach jede Menge Bilder.

Neben dem Arches Nationalpark befindet sich auf diesem Teil des Colorado-Plateaus (das insgesamt eine Fläche von etwa der Größe Deutschlands umfasst und sich über das südlichen Utah und das nordöstliche Arizona erstreckt) auch noch der Canyonlands Nationalpark. Ein paar Kilometer nordwestlich von Moab tut sich die Erde auf – und bietet atemberaubende Ausblicke. Oder vielmehr Einblicke. Canyons von beeindruckenden Ausmaßen, die der Colorado River, der Wind und die Zeit in Millionen Jahren in den Fels gegraben haben. Und das sind hier nur die kleinen Canyons: Der Grand Canyon liegt noch etwa 500 Kilometer weit entfernt! Hier, am Rande der Canyonlands, kann ich mir allerdings gerade nicht vorstellen, dass die Schluchten dort noch majestätischer, tiefer, weiter sein sollen (obwohl ich schon zwei Mal für je ein paar Stunden dort war. Aber mein Erinnerungsvermögen schafft es offenbar nicht, diese Dimensionen nach so langer Zeit wieder abzurufen). Anders als im Arches Nationalpark begegnen wir hier in den Stunden, die wir auf der Panoramastraße durch den Park fahren und immer wieder zum Bestaunen der Landschaft anhalten (dieses Licht! Diese Farben! Erwähnte ich das schon?), nur wenigen anderen Besuchern. Was den Eindruck, in einer uralten Welt zu sein, vielleicht sogar auf einem anderen Planeten, noch verstärkt.

Nach einer Woche reißen wir uns los von unserem Fleckchen Wüste und von Moab mit seinen Outdoor-Stores (wenig überraschend ist diese Gegend ein Mekka für Mountainbiker, Kletterer, Kajaktouren auf dem Colorado River und jede Menge motorisierte Offroad-Vehikel, die mit Allradantrieb durch die Dünen brettern) und netten Restaurants. Unser nächstes Ziel ist der Grand Canyon. Ein Zwischenstop auf dem Weg dorthin ist allerdings noch Pflicht: Marlboro Country! Das Monument Valley wird seit Jahrzehnten von Hollywood sowie der Werbefilm-Industrie als DIE Western-Kulisse schlechthin eingesetzt. Selbst, wer noch nie in den USA war, empfindet die ikonischen Gesteinsformationen, die aus dem flachen Boden emporzuwachsen scheinen, als vertrauten Anblick. Also will auch ich mein Foto von diesem Ort – auch wenn tausende Fotografen mit tausendmal besseren Kameras schon tausend bessere Fotos davon gemacht haben 🙂

Ach ja, solltet Ihr je in Utah Euren Geburtstag in einem ausgetrockneten Flussbett 20 KM entfernt von der nächsten Einkaufsmöglichkeit feiern und wert auf ein Glas Sekt zum Frühstück legen: Geht spätestens am Tag vorher zwischen 12 und 18 Uhr einkaufen. Alkohol (mit Ausnahme von Bier) wird im Mormonenstaat nämlich nur von staatlichen Liqour Stores verkauft, und das auch nur zu den genannten Uhrzeiten und nicht an Sonn- und Feiertagen… blöd, wenn man am Vortag erst NACH 18 Uhr einkaufen geht, weil man sich für besonders schlau hält und die Hitze des Tages vermeiden will. Oder weil man einfach zu viel getrödelt und den ganzen Tag nur staunend in die Wüste gestarrt hat…

Und noch was: Wenn Ihr je in einem ausgetrockneten Flussbett campt und sich an Eurem bis dahin wunderbar stillen Geburtstags-Abend plötzlich ein zwölf Meter langes Gespann aus Pick-up und Riesen-Wohnwagen neben Euch stellt, aus dem eine vierköpfige Familie herauspurzelt, deren Oberhaupt ohne lange zu fackeln einen Diesel-Generator in der Größe eines Backofens von der Ladefläche zerrt, zehn Meter neben seinem Gespann aufstellt und anwirft: Geht hin und bittet ihn, das dröhnende Ding sofort wieder abzustellen! Sagt ihm, ihr seit guter Dinge, dass er die 23 Grad warme Nacht auch ohne Klimaanlage überlebt! Wir haben das nicht getan, weil wir dachten, so macht man das vielleicht in Amerika, und keine spießigen Camp-Nachbarn sein wollten. Mit dem Ergebnis, dass das Ding die halbe Nacht und den gesamten nächsten Morgen einen Höllenlärm veranstaltet und Nico zu Mord-Phantasien veranlasst hat. Wir wissen aber inzwischen von ein paar netten Mountainbikern, die an den Abenden danach neben uns ihr Camp aufgeschlagen haben, dass wir sowas keinesfalls tolerieren müssen. Als wieder eines dieser riesigen Wohnmobile aufkreuzte und einen Generator anwarf, marschierten die Jungs einfach rüber und baten höflich, das verdammte Ding abzuschalten – sofort herrschte himmlische Ruhe. Und wir hatten einen zauberhaften Abend mit der Truppe am Propan-Lagerfeuer (wegen der erhöhten Brandgefahr im knochentrockenen Utah) und kennen jetzt jede Menge tolle Mountainbike-Spots in den USA. Zu dumm, dass wir unsere Räder auf diesem Teil der Reise zuhause gelassen haben…

3 Kommentare

  1. Hallo Brit, wieder ein sehr faszinierender Bericht mit hervorragenden Fotos. Danke das wir weiterhin euer großes Abenteuer miterleben können.
    Guten Reise weiterhin mit LG vom Wisseler See Monika

  2. Einfach überwältigend, diese Bilder! Wunderbares Licht. Sensationelle Landschaften! Ein Traum!
    Und noch viel schöner mit Deinen Berichten, als „nur“ im WhatsApp Status! Danke!

    1. Dankeschön 🙂 Ja, das ist wirklich ein besonderes Fleckchen Erde, das mich sehr berührt hat.
      Der WhatsApp-Status war eine Idee meiner Schwester, damit die Familie ein bisschen näher dran sein kann – komme ja nicht sooo oft zum Schreiben wie ich gerne würde, zu viel zu erleben die ganze Zeit 😀

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