Plan C

Soviel zu Plänen. Seit gestern wissen wir: Es wird weder Plan A noch Plan B – es wird etwas ganz anderes. Immerhin kennen wir inzwischen die Rahmenbedingungen: Das Reiseverbot in Griechenland wird nicht schon zum orthodoxen Osterfest nächste Woche gelockert, sondern am 15. Mai mit der Öffnung des Landes für den Tourismus aufgehoben. So hat es Ministerpräsident Mitsotakis vorgestern Abend seinem Volk verkündet, Theo hat uns sofort angerufen und uns die Neuigkeiten überbracht. Eigentlich wäre das der Startschuss für Plan B gewesen: Wir treffen uns mit Markus und Simone in der Schweiz und kehren nach der gemeinsamen Zeit Ende Mai zurück nach Griechenland, um uns endlich auf Kreta den großen L300 anzuschauen. Eigentlich. Denn dieser Plan fällt in Windeseile Bürokratie und – ich muss es leider so deutlich sagen – mangelhafter Planungskompetenz zum Opfer. Auf der bürokratischen Seite ist mal wieder die Auslandskrankenversicherung ein Stolperstein: Unsere unter Mühen erworbene neue Versicherung deckt die Schweiz als Reiseland zwar in abgespeckter Form ab – allerdings beginnt der Schutz erst 60 Tage nach Abschluss der Versicherung (diese Zahl wurde möglicherweise mit den selben Würfeln erknobelt, mit denen auch die Inzidenz von 165 für Schulschließungen in der Corona-Notbremse ausgewürfelt wurde…). Mit anderen Worten: Den größerer Teil unseres geplanten Schweiz-Aufenthaltes wären wir nicht versichert. In Zeiten von Corona absolut indiskutabel, und auch ohne Corona wäre ich auf keinen Schweizer Alpengipfel gestiegen, ohne sicher zu sein, dass ich nicht auf den Kosten sitzenbleibe, sollten sie mich aus irgendeiner Schlucht bergen und wieder zusammenflicken müssen. Kurz überlegen wir, ob wir auf dem Weg in die Schweiz einen Schlenker über Deutschland machen, um dort für zwei Wochen eine neue Auslandskrankenversicherung abzuschließen – aus leidvoller Erfahrung wissen wir ja, dass wir dafür im Heimatland sein müssen. In dem Moment, in dem ich mir dieses Szenario auf der Landkarte anschaue, wird mir das viel größere Problem klar und ich frage mich, wo wir unser Hirn hatten, als wir uns in leuchtenden Farben gemeinsame Tage in den Schweizer Alpen ausgemalt haben: Wie konnten wir übersehen, dass auf dem Weg dahin sieben Ländergrenzen liegen? Und ausblenden, dass das bedingt durch Corona sieben Grenzübertritte aus der Hölle werden würden? Mit siebenfach Wartezeiten, Einreiseformularen, Selbsterklärungen, Coronatests und Quarantänefragen? Und das alles dann auch wieder zurück? Ich bin erschüttert angesichts von so viel Planungsdefizit.

Simone und Markus geben ihr Bestes, unseren Denkfehler wieder auszuwetzen: Was, wenn wir uns stattdessen in Kroatien treffen? In Istrien sind die Inzidenzen so niedrig, dass auch dieses Land für die beiden als Ziel infrage käme – zwar haben sie dort bereits letzten Sommer drei Wochen verbracht, und Simones Bergweh würde auf eine harte Probe gestellt, aber für uns würden sie die Extrameile gehen. Ich schaue wieder auf die Karte: Immer noch je nach Route zwei oder drei Grenzübertritte und auf dem Rückweg zwei mehr, da man derzeit nur über einen einzigen geöffneten Grenzübergang in Bulgarien auf dem Landweg nach Griechenland einreisen darf. Wir haben ein mieses Bauchgefühl: Das Reisen, das wir uns so sehr wünschen, wäre eher ein technokratischer Fünfkampf, und wir sind zudem in Sorge, dass sich die Situation in den einzelnen Ländern jederzeit ändern könnte und wir vor verschlossenen Grenzen stehen. Klar, wir wollten das große Abenteuer, und das wäre sicherlich eines. Aber wir haben zum ersten Mal seit langer Zeit ein greifbares Ziel: Kreta ab dem 15. Mai. Das zudem Auswirkungen auf unsere gesamte weitere Reiseplanung haben könnte. Das wollen wir nicht riskieren (auch wenn die Abenteurerin in mir nicht übel Lust hätte, es mit der bürokratischen Herausforderung aufzunehmen – könnte eine gute Übung für Südamerika und andere Länder sein!). Schweren Herzens beschießen wir nach einer Nacht drüber schlafen, nirgendwo hin zu fahren und das zu tun, was wir eigentlich nicht mehr tun wollten: zur Tatenlosigkeit verdammt darauf zu warten, bis das Reiseverbot in Griechenland aufgehoben wird.

Mit finsterer Mine schleiche ich gestern durch den Vormittag und beklage unser Schicksal: Schon wieder fliegt uns ein Plan um die Ohren, schon wieder sind wir gezwungen, stillzuhalten und abzuwarten. Wie alle anderen auch. Woher nehme ich bloß immer die Naivität zu glauben, ausgerechnet wir könnten Corona ein Schnippchen schlagen, wo doch die ganze Welt gerade die große „Pause“-Taste gedrückt hat, und knapp sieben Milliarden Menschen ihre Pläne auf Eis legen müssen? Offenbar kann ich alle paar Tage mit Vollgas gegen immer die selbe Wand laufen, ohne dass ein nennenswerter Lerneffekt einsetzen würde… Und während ich so vor mich hinbrüte über wieder mal eine Tür, die sich vor unserer Nase geschlossen hat, geht neben uns eine neue Tür auf: Theo lädt uns ein, mit seiner Familie Ostern zu feiern. So richtig mit allem Zipp und Zapp, wie es eine griechische Großfamilie feiert. Lange Tafel im Hof, ein ganzes Lamm über dem Feuer, Essen, Trinken, Musik, Reden. Geredet wird mit Leidenschaft in seiner Familie, wir haben inzwischen zwei seiner vier Kinder – alle in ihren Zwanzigern – kennengelernt, die sich als ebenso unkomplizierte, offene und interessierte Gesprächspartner erwiesen haben, wie Theo selbst. Nach fünf Wochen hier fühlen wir, dass es kein Akt der Höflichkeit von Theo ist, uns zu Ostern einzuladen. Er möchte uns wirklich gern dabei haben – und wir möchten wirklich gern kommen. Rasch klären wir, wie die Familie mit Blick auf Infektionsschutz mit dem Osterfest umgeht (was sich wirklich absurd anfühlt: Ich hätte nicht gedacht, je eine Einladung mit der Rückfrage „Wie haltet Ihr es denn mit der Hygiene?“ beantworten zu müssen. Corona hat seltsame Auswüchse an manchen Stellen) – und sagen zu. Meine Schwester bestärkt uns in der Entscheidung: „Das sind die Seiten einer Kultur, die man als Tourist nie erlebt und für kein Geld kaufen kann.“ Sie erzählt von einer Einladung zum Chinesischen Neujahrsfest bei der Familie ihrer Freundin Chen Li in Shanghai: „Ich hatte danach zwei Tage lang Brechdurchfall, aber es ist eine meiner schönsten Erinnerungen an die Jahre in China.“

Wir fühlen uns geehrt und sind super neugierig auf das Fest – und plötzlich fühlen sich die drei Wochen bis zur Aufhebung des Reiseverbots gar nicht mehr so warteschleifig an. Wir haben Plan C gefunden – bzw. er uns. Das Wetter präsentiert sich hier unten im Süden seit einigen Tagen frühsommerlich und blütenduftdurchströmt und verwandelt die Gegend in ein Kitschpostkartenidyll, morgen brechen wir für ein paar Tage auf und bereisen den vierten Finger des Peloponnes. Kein Regionswechsel nötig. Die Ruinen von Mykene, das Theater von Epidauros und die heißen Quellen auf der Halbinsel Methana strahlen plötzlich wieder eine magische Anziehungskraft aus, wo sie mir noch Stunden zuvor nur wie ein schwacher Versuch vorkamen, uns ein Reiseerlebnis vorzugaukeln und Wartezeit totzuschlagen. Nächsten Freitag kehren wir dann zum Osterfest für ein paar Tage zu Theo und seiner Familie zurück (und zu den Katzenbabys, denen ich mehrmals am Tag meine Aufwartung mache. Die werden dann schon die Augen offen haben!), dann noch zehn Tage, die wir schon mit irgendetwas Schönem füllen werden – ab dem 3. Mai öffnen sie hier die Außenbereiche der Restaurants und Kneipen nach sechs Monaten Lockdown, die Nachricht macht uns fast ebenso glücklich wie die von der Aufhebung des Reiseverbots -, und dann geht es ab auf die Fähre nach Kreta! Und ich hoffe sehr, dass das nicht erneut nur ein „Mit Vollgas gegen immer die selbe Wand“-Plan ist…

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