Fifty Shades of Blue

Es ist der surrealste Moment unserer bisherigen Reise. Als Nico den Bond über den Campingplatz Yax-Ha an der Costa Maya manövriert, ich zu Fuß hinterher, trifft mich das Ausmaß unserer Reise auf einmal wie ein Hammerschlag. Da steht er, unser braver Sprinter mit Delmenhorster Kennzeichen, unter Kokospalmen und Mangobäumen, davor bis zum Horizont das aquamarinblaue karibische Meer. Ich war noch nie in der Karibik – und jetzt stehe ich hier. Den ganzen langen Weg von Norddeutschland bis an diesen Postkarten-Ort sind wir gereist, die Hälfte davon auf dem Landweg. Ich starre auf das Hinterteil des Bond, auf die Palmen und das tropische Blau von Himmel und Meer und mein Gehirn kriegt das nicht verpackt. Vor vier Jahren sind wir in dieses Abenteuer gestartet – und obwohl die Karibik überhaupt nicht zu den Sehnsuchtsbildern gehört, die ich mit dieser Reise verbunden habe, erzeugt das, was ich hier sehe, ein so starkes Gefühl von „weit, weit weg“, dass es mir wie eine Ungeheuerlichkeit vorkommt, wirklich hier zu sein. Kommt eine Delmenhorsterin in die Karibik. Das klingt wie der Anfang von einem Witz.

Ich stehe bestimmt zehn Minuten da und glotze einfach nur auf den Bond vor der Kitsch-Kulisse. Dann drückt Nico mir einen Cuba Libre in die Hand, wir steigen in den Pool, in dem es praktischerweise steinerne Barhocker IM Wasser gibt, und ich denke, „Joa, die Karibik und ich, wir kommen schon klar“.


Und dann geben wir uns das volle tropische Programm: Schnorcheln in Belize vor der Koralleninsel Caye Caulker, am zweitgrößten Barrier Reef der Welt (von dem ich, anders als von seinem berühmten Kollegen vor der Ostküste Australiens, bis vor kurzem noch nie etwas gehört hatte). Wobei der Grund, aus dem wir aus Mexiko aus- und nach Belize einreisen, eigentlich ein anderer ist: Reise-Bürokratie. Unser Fahrzeug befindet sich bereits seit zwei Jahren im NAFTA-Raum, der gemeinsamen Freihandelszone von Kanada, den USA und Mexiko. Und während uns die Mexikaner großzügige zehn Jahre für den temporären Import unseres Fahrzeugs in ihr Land gewähren, erlauben die Amerikaner und Kanadier nur ein Jahr für den gesamten NAFTA-Raum. Da wir bei der Wiedereinreise in die USA Ende April auf gar keinen Fall mit einem Grenzer darüber diskutieren wollen, ob wir den vollen Importzoll auf unseren Van zahlen müssen – oder gar überhaupt nicht wieder einreisen dürfen mit dem Bond -, beschließen wir, den NAFTA-Raum für ein paar Tage zu verlassen. Und hoffen, dass die US-Behörden den Stempel, mit dem man mir in Belize den temporären Import unseres Sprinters in den Reisepass stempelt, auch akzeptieren.

Man kann also sagen, dass wir auf unserem Ausflug in das kleine karibische Land, das bis 1973 Britisch-Honduras hieß und erst 1981 seine Unabhängigkeit von der englischen Krone erlangte, das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Die meisten unserer Reisefreunde waren schon mal in Belize, also begeben wir uns ganz bequem auf ihre Spuren. Unser Hauptziel ist Caye Caulker: Die Insel ist autofrei, daher stellen wir unseren Van an der Marina außerhalb von Belize City ab und setzen mit dem Highspeed-Wassertaxi über (wenn Euch die Reiselogistik interessiert: Unsere Freundinnen von PerspektiVan haben dazu gerade einen ausführlichen Artikel geschrieben). Durch azurblaue Wellen braust das bis auf den letzten Platz besetzte Boot eine Dreiviertelstunde lang Richtung Caye Caulker. Schwatzende amerikanische Touristinnen mit sonnenverbrannten Schultern; über einem TikTok-Video miteinander kichernde Mädchen in Schuluniformen, die diese Fahrt zwei Mal täglich zwischen ihrem Zuhause auf der Insel und ihrer High School auf dem Festland zurücklegen; neben mir ein älterer Herr mit Kopfhörern, ebenfalls in ein Video an seinem Handy versunken; neben Nico ein drahtiger Polizist mit Waffe am Gürtel auf dem Weg zum Dienst.

Mit der sinkenden Sonne purzeln wir alle am Anleger auf Caye Caulker vom Boot und marschieren die wenigen Schritte auf den sandigen Straßen der Insel zu unserem Hotel. Caye Caulker ist nur acht Kilometer lang und seit Hurricane „Hattie“ 1961 in zwei Teile geteilt. „The Split“ nennen die Bewohner die Stelle, an der das Wasser die beiden Insel-Teile trennt – der Teil der Insel, der quasi eine Ferien-Anlage ist, weil hier fast alle Touristen wohnen, essen, shoppen und zu Schnorchel-Touren aufbrechen, ist keine zwei Kilometer lang und nur wenige hundert Meter breit. Nach einem halben Tag haben wir gefühlt alle Einwohner und Gäste von Caye Caulker mindestens ein Mal getroffen und sind jeden Weg einmal gegangen. Wir machen das, was in Belize quasi Staatsräson ist: Wir schalten drei Gänge runter und lassen es ruhig angehen. Das Motto des Landes: Go slow! Können wir. Wir essen gut, bestaunen bei einem tropischen Cocktail den Sonnenuntergang auf der Westseite der Insel, erfreuen uns an den netten und entspannten Menschen und genießen ist, dass wir hier alle verstehen: die Amtssprache von Belize ist Englisch, endlich sind wir nicht mehr die stammelnden Ausländer, die sich nur unzureichend ausdrücken können.


Das Highlight unseres Besuchs ist, wie erwartet, der Schnorchel-Trip: Jordi, unser vergnügter Guide, besteigt mit uns und einem reizenden Pärchen aus England ein kleines rosafarbenes Boot, wirft den Außenborder an und tuckert die zehn Minuten über das topasblaue Wasser zum Riff. Das Areal steht als Nationalpark seit 15 Jahren unter besonderem Schutz, hier dürfen wir nur mit Guide schnorcheln. Perfekt für uns Anfänger! Das Wasser ist so klar und durchsichtig, dass wir jeden Fingerzeig Jordis erkennen können: Er zeigt uns ein halbes Dutzend unterschiedliche Korallenarten, die hier leben, nennt uns die Namen unzähliger Fische (die ich fast alle wieder vergessen habe), und klärt uns über das feine Gleichgewicht auf, in dem sich das Ökosystem Korallenriff befindet. Beim zweiten Schnorchel-Stopp halten wir die Luft an: Als unser Boot sich nähert, huschen unter der Wasseroberfläche große dunkle Schatten auf uns zu. Ammenhaie und Rochen! Jordi erklärt, dass einige der Schnorcheltour-Anbieter die Tiere anfüttern, damit sie zu den Booten kommen. Wir haben uns extra ein Unternehmen gesucht, das das nicht macht (weil es das besagte Gleichgewicht des Ökosystems stört) – aber das wissen die Fische ja nicht und kommen trotzdem angeschwommen. An dieser Stelle ist das glasklare Wasser höchstens 1,50 Meter tief – wir müssen also mit den Füßen zwischen die Ammenhaie und Rochen steigen. Ein seltsames Gefühl, es kostet erst ein wenig Überwindung, auch wenn Jordi munter voran hüpft. Aber nach einer Minute überwiegt die Faszination! Wir tauchen die Köpfe unter Wasser und schwimmen zwischen den sanft dahingleitenden, kindsgroßen aber ungefährlichen Meeresbewohnern hin und her. Der Flügel eines Rochens streift einmal meinen Knöchel – aber ansonsten meiden die Tiere von sich aus den Kontakt. Sie sind unglaublich schön, wie sie da so im Wasser schweben. Dann kommt ein anderes Tour-Boot mit Futter – und zack, sind wir wieder allein unter Wasser. Den dritten Schnorchel-Stopp verbringe ich dann mehr oder weniger auf dem Boot: Ich habe vergessen, vor dem Ablegen meine Anti-Übelkeits-Pille zu schlucken und bin schon seit dem ersten Stopp scheußlich seekrank vom Rumdümpeln in den Wellen mit Gesicht nach unten. Aber auch hier oben ist es traumhaft schön: Glitzerndes Blau in allen Schattierungen so weit das Auge reicht, im Gegenlicht der Sonne die Silhouette von Caye Caulker als Schattenriss am Horizont. Wie die Rot- und Orangetöne damals im Arches Nationalpark geben mir die Blautöne hier das Gefühl, in einer anderen Sphäre zu sein, entrückt und nicht von dieser Welt.


Inzwischen sind wir wieder zurück in Mexiko und haben unserer Sammlung noch weitere Blautöne hinzugefügt: die der Lagune von Bacalar. Dieser langgezogene und schmale Süßwasser-See, der nur eine kurze Fahrstrecke von der Costa Maya im Landesinnern liegt, ist auch als die „Lagune der sieben Farben“ bekannt – aber ich schwöre: Das ist eine schamlose Untertreibung! Am besten hat mir die Lagune an dem kleinen Ort, an dem wir mit dem Camper stehen, jedoch am frühen Morgen gefallen: Da scheint das Wasser zwar noch nicht blau, aber es ist glatt wie ein Spiegel und durchscheinend wie Glas, sodass man vom Steg aus die kleinen Fische beobachten kann, während um einen herum die Vögel den neuen Tag feiern und hinter den Mangroven spektakulär die Sonne aufgeht. Ich hab‘s ja gewusst: Die Karibik und ich, wir kommen klar.

3 Kommentare

  1. Hallo meine Lieben, was ein Traum die Karibik das Meer, die Palmen und der Himmel. Da kann ich mir gut vorstellen, dass ihr Euch sehr wohl führt und die Zeit genießt. Liebe Brit, Deine Erzählungen sind so gefühlvoll geschrieben, als wäre man dabei. Weiterhin so schöne Abenteuer. LG MONIKA

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