Von der Traufe in den Regen

Um es gleich vorweg zu nehmen: Wir werden den Ohridsee heute NICHT umrunden. Kein cooles neues Highlight in der Bike-Biografie, dafür ein paar weitere Erfahrungspunkte in der Disziplin „Plant Ihr mal, es kommt eh anders“. Um kurz nach neun stehen wir vor „City Bike Ohrid“, einem Fahrradverleih, der in den Google-Bewertungen von Radreisenden auch für seine Hilfsbereitschaft und Kompetenz bei der Reparatur gefeiert wird. Nur die Öffnungszeit stimmt bei Google nicht – der Laden macht erst um zehn auf. Wir radeln zur Promenade und frühstücken feudal für unsere vielen Denar. Dann wieder aufs Rad und zurück zum Bike-Laden – und, BÄMM, Nicos Hinterrad ist platt. Läuft bei uns. Aber wir sind ja eh auf dem Weg in die Werkstatt, das Timing könnte also schlechter sein.

Nicht schlechter sein könnte das Timing allerdings eines Stunde später, nachdem Nico und der Besitzer des Bike Shops sowohl die Bremsen als auch den Reifen akribisch gefixt und alles noch mal geprüft haben: In dem Moment, in dem wir unsere Helme aufsetzen, öffnet sich der Himmel und es gießt wie aus Eimern. Nach eineinhalb Kilometern sind wir so nass, dass wir im selben Cafés, in dem wir vorhin gefrühstückt haben, erneut einkehren, und heiße Schokolade und Tee bestellen, um den Regen auszusitzen. Auf eine längere Strecke bei Regen sind wir nicht vorbereitet, als wir gestern losfuhren und davon ausgingen, abends zurück zu sein, war der Himmel wolkenlos und die Vorhersage bis zum Abend stabil freundlich. Wir haben zwar Softshell-Jacken mit, mehr als einen Schauer von 30 Minuten halten die aber nicht aus, und bei 12 Grad sind wir so schnell ausgekühlt, dass jeder Kilometer zur Quälerei würde. Dazu sind wir nicht bereit. Wir checken das Regenradar – und sind ernüchtert: mehr Regen für die nächsten Stunden, dazu Gewitter weiter südlich am See. Erst ab 16.00 Uhr soll es besser werden – damit haben wir das selbe Problem wie gestern: Wir laufen Gefahr, in die Dunkelheit zu geraten.

Genervt wägen wir die Optionen ab, Busse fahren nur alle zwei Stunden, die Fähre nur einmal am Tag, morgens um 10.00 Uhr. Schließlich läuft Nico in den Regen hinaus und fragt einen Taxifahrer, was er für die Strecke bis zur albanischen Grenze nimmt. 25 Euro für 30 Kilometer – wir schlagen ein. Der Mann legt die Rückbänke seines Siebensitzers um und hilft uns, die tropfnassen Räder zu verladen. Erzählt uns unterwegs von den Schönheiten seines Landes aber auch von politischen Missständen, Korruption, Sanierungsstau und der Flucht der gut ausgebildeten jungen Leute ins Ausland. Am Kloster St. Naum drei Kilometer vor der Grenze lässt er uns raus, wir wollen ein Regenloch dazu nutzen, wenigstens ein bisschen was zu sehen und ein paar Kilometer zu fahren (sechseinhalb insgesamt. Lächerlich.) Wir bewundern die wunderschön zwischen Ohridsee und Mühlenteichen gelegene Klosteranlage, die allerdings mit Restaurants und Ladenzeile eindeutig für den Tourismus aufgerüscht wurde. In einem Mini-Markt setzen wir unsere letzten Denar in einen Klotz Käse, drei Salamis und vier Bier um, die wir in unsere Rucksäcke stopfen und über die Grenze zurück noch vor dem Gewitter auf dem Campingplatz einfahren.

Das eigentliche Donnerwetter kommt aber noch. Kaum berühren unsere Reifen den Campingplatz, kommen die Besitzer – Bene und Ilona – und sogar Ilonas Mutter aus dem kleinen Restaurant am Eingang gestürzt und schimpfen mit uns. Sie haben sich Sorgen gemacht, als wir gestern nicht heimkamen! Der Sturm hat unseren Tisch und unsere Stühle umgeweht! Ein Baum auf dem Platz ist umgestürzt und sie wussten doch nicht, wo wir sind! Wir hätten irgendwo in den Bergen liegen können, vom Unwetter überrascht, gestürzt, sonst was! Ilona wollte schon die Polizei holen, informiert uns Bene vorwurfsvoll. Wir stehen da wie gescholtene Schulkinder und haben das schlechteste Gewissen auf dem Planeten. Ich hatte gestern sogar noch zu Nico gesagt, dass wir die Nummer vom Campingplatz rausfinden und Bescheid sagen müssen, dass wir in Ohrid übernachten. Der Platz ist klein und familiär, da fällt es auf, wenn einer nicht heimkommt. Aber dann hatten wir bei der Ankunft kaum noch Akku auf unseren Handys und kein Internet, das stürmische Wetter hatten wir als lokales Phäomen in Ohrid eingeschätzt – und als wir dann in der Pension waren, bin ich einfach komplett darüber hinweg gekommen, uns bei unseren Gastgebern in Albanien abzumelden. Wir verkriechen uns in den Bus und fühlen uns schrecklich. 20 Minuten später kommt Bene vorbei und sagt uns, dass später eine Gruppe von zwölf Franzosen mit ihren Wohnmobilen kommt und wir nicht stehen bleiben können auf der Parzelle, auf die wir für ein oder zwei Nächte gezogen sind – und auf der wir nun schon den vierten Tag stehen. Wir entschuldigen uns noch einmal ehrlich zerknirscht für unser Versäumnis – aber er lächelt und ist nicht mehr sauer. Sagt uns, dass wir, wenn wir dicht an das Restaurantgebäude heranfahren, wo noch eine halbe Parzelle Rasenfläche ist, gern für die Nacht stehen bleiben können. Wir parken um – und schauen zu, wie Bene in den nächsten zwei Stunden nach und nach zwölf französische Wohnmobile auf dem Platz einweist. Was ein Segen, dass wir so klein sind – irgendwie werden wir dazwischen schon rauskommen morgen. Zwei Motorradfahrer kommen knatternd auf den Platz gefahren – wir rücken noch ein Stück auf unserer winzigen Parzelle, ein Zelt kriegen wir da auch noch unter. Und genießen dann tatsächlich noch ein sonniges Stündchen, bis es am Abend wieder regnet und regnet und regnet. Aber wie sagte unser Taxifahrer so schön: Alles haben wir Menschen uns Untertan gemacht, aber das Wetter, darauf haben auch wir keinen Einfluss.

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