Wandern auf Sardinien – bedeutet: Kraxeln!

Eines der Dinge, die wir auf unseren Reisen so oft wie möglich tun möchten, ist Wandern. Ich liebe es, mir schöne Gegenden zu Fuß zu erschließen, das gilt für interessante Städte – ich bin kein Fan davon, Sehenswürdigkeiten abzuklappern, ich lasse mich am liebsten durch die Straßen und Gassen treiben und schaue mir die Leute und das Leben an. Aber noch mehr gilt das für Landschaften: Wandern ist einfach die schönste Art, die Natur zu erkunden, tolle Ausblicke zu finden, die Wärme, Kälte, Trockenheit oder Feuchtigkeit auf der Haut zu spüren und die Gerüche eines Ortes in sich aufzunehmen.
Nach Sardinien sind wir u.a. deswegen gefahren, weil man hier toll Wandern können soll – seit Jahren habe ich die Insel auf der Liste und mir bei Google Maps einen Stern im Supramonte-Gebirge an der Ostküste gesetzt. Und perfekter könnte das Timing nicht sein: Wir haben für die nächsten beiden Wochen  Besuch von Linda, und die ist DAS Outdoor-Mädchen. Abenteuerlustig, bergaffin, angstfrei. Und wir haben eine Wetterprognose zum Niederknien: Anfang 20 Grad und Sonnenschein soweit die Wetterkarte reicht. Und das haben wir in den letzten beiden Tagen weidlich ausgenutzt!

Sind gestern und heute je etwa 12 KM und 500 Höhenmeter gegangen – klingt nach nicht viel, wir haben aber schnell festgestellt, dass die Wanderwege auf Sardinien weder besonders gut ausgeschildert noch besonders gut gepflegt sind. So mussten wir gestern nach ein paar Kilometern auf einem angeblichen Wanderweg direkt umdrehen: Wir standen bis zu den Achseln in dichtem Gestrüpp – ohne Machete wäre das ein aussichtsloses Unterfangen geworden. Linda schlägt sich ein paar Meter weiter vorwärts und kommt mit zerkratzen Beinen zurück, wir suchen uns einen anderen Weg von unserem Campingplatz an der Cala Gonone aus an der Küste entlang. Hier kommt das zusammen, was ich am liebsten mag: Berge und Meer. Gibt es etwas Schöneres als auf einem Fels zu stehen oder einen Höhenzug entlang zu gehen und dabei auf das Blau des Meeres und des Himmel zu schauen? Ich bin selig. Und dann sehr schnell sehr konzentriert: Nach ein paar Kilometern auf einem gemütlichen Küstenpfad geht der Weg auf einmal nach links weg und den Hang hoch. Der Pfad ist so schmal, dass wir ihn gerade noch sehen, über Felsen und Wurzeln geht es steil bergan. Linda, immer vorne weg, macht die Pfadfinderin und sucht den Verlauf des Weges, rechts geht es teils steil bergab, ich kralle mich mit Händen und Zehen in den schmalen Pfad und frage mich immer wieder, ob dieser Weg wirklich dafür gedacht ist, ihn zu gehen. Ich bin verwöhnt von den Alpen: Da ist jeder Weg perfekt gekennzeichnet; da ist es mir egal, ob er schwer und ausgesetzt ist, solange ein Schild dransteht, dass das der richtige Weg ist und ich annehmen kann, dass auch andere Leute diesen Weg ständig entlangwandern, gehe ich davon aus, dass ich das dann ja wohl auch irgendwie hinkriegen werde. Hier beschleichen mich Zweifel. Aber Linda und Nico schreiten furchtlos voran, und tatsächlich finden wir dann und wann eine  Pfeil auf einem alten, verwitterten Metalllschild, der mir das Gefühl vermittelt, dass hier zumindest 1812 mal ein Wanderpfad gewesen sein könnte.
Nach zwei Stunden kommen wir auf „La Tintura“ an: Oben steht eine Schutzhütte aus Tipi-förmig zusammengestellten Baumstämmen, darin ein Gipfelbuch, in dem es deutlich jüngere Einträge gibt als von 1812. Genau genommen ist der letzte von heute – meine Sorgen waren also unbegründet.
Wir nehmen den selben Weg wieder nach unten (der mir nur noch halb so lang vorkommt) und belohnen uns im Hafen von Cala Gonone mit einem frisch gezapften Bier (dem ersten auf dieser Reise) – und schmieden direkt  Pläne für heute: Einen weiteren Küstenweg soll es entlang gehen, dieses Mal von der Cala Fiuli zur Cala Luna, die nur mit dem Boot oder zu Fuß erreichbar ist.

Der Weg ist deutlich ausgetretener als der von gestern  – was allerdings nicht heißt, dass er deswegen gemütlicher wäre: Wieder krabbeln wir über Stock und Stein – auf Sardinien ist Wandern offenbar gleichbedeutend mit Kraxeln! Als wir wieder am Bus sind, wissen meine Beine, was sie getan haben, morgen ist definitiv erst mal ein Ruhetag angesagt!
Jetzt sitzen wir für die Nacht auf einem Hügel im Supramonte-Gebirge, im Schein der Lichterkette an unserer Markise, den Bauch voll mit Kürbis-Curry und Salat (Nico und Linda haben sich selbst übertroffen, während ich vor mich hin geschrieben habe) – und freuen uns, unsere müden Beine hochzulegen. Übermorgen geht’s dann weiter!

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