Zwischen Bergen und Meer

Und wieder vergessen wir die Zeit. Was eigentlich nur ein Ausweichmanöver sein sollte, weil wir am Montag nach dem Aufbruch aus unserer Unterkunft in Nafplio und der mühseligen Vorratsbeschaffung so genervt waren, wird zu einem fünftägigen Aufenthalt im Schatten der Burg Larissa und der Klosteranlage Moni Agion Anargiron – so lange, bis wir erneut unser Wasser und die Vorräte auffüllen müssen. Wir können uns einfach nicht trennen von diesem wunderschönen Ort: Eingebettet zwischen Hügeln, mit einem weiten Blick bis zur nächsten Bergkette am Horizont mit zum Teil schneebedeckten Gipfeln – über die gesamte Ebene nördlich von Argos hinweg, die sich nachts in ein glitzerndes Meer aus Lichtern verwandelt. Als es am ersten Abend in der Dunkelheit zu schimmern beginnt, als hätte man ein Säckchen Diamanten auf schwarzen Samt gekippt, fragen wir uns staunend, wo all das Licht herkommt. Tagsüber sehen wir da unten nur ein paar kleinere Häuseransammlungen, eine Fabrik und ein paar Hochspannungsmasten. Im Dunklen sieht es aus wie Los Angeles bei Nacht. Wir klettern auf den Bus, setzen uns auf die Dachboxen und gucken. Stundenlang. Wie Kino. Morgens weckt uns die Sonne und bringt den Tau im Gras zum Glitzern, schnell gehen die Temperaturen hoch auf T-Shirt-Wetter. Erst Kaffee, dann Tagewerk. Irgendwas ist immer zu tun: Nico repariert – mal wieder – unsere Fahrräder, beide haben einen Platten, ein fingernagellanger Dorn in Nicos Hinter- und meinem Vorderrad. Ich sitze an ein paar Textaufträgen, die ich gemütlich in der Sonne wegarbeite (und mich dabei fühle, wie das Klischee eines digitalen Nomaden).

Am dritten Nachmittag, kurz bevor die Sonne untergeht, bewegen wir uns endlich mal: Wir wollen nur kurz ein paar Schritte den Weg weiter hinauf, uns zehn Minuten lang die Beine vertreten. Kommen nach ein paar Wegkehren und einigen Dutzend Höhenmetern auf der Spitze des Hügels an – und stehen mitten in einer Kitsch-Kulisse. Goldenes Abendlicht färbt den Himmel rosa, pfirsichfarben und zartblau, der Blick reicht bis zum Argolischen Golf und nach Nafplio. Rechts im Dunst der heraufziehenden Dämmerung Hügelketten wie Scherenschnitte in verschiedenen Abstufungen von Dunkel, ganz links die Burg Larissa auf ihrem Hügel, noch von der Abendsonne beschienen. Wir können uns nicht sattsehen – und kommen am nächsten Abend noch mal mit der Drohne zurück, um die magische Stimmung und den Wahnsinns-Ausblick in ein paar Filmsequenzen festzuhalten (die reichen wir nach, sobald sie geschnitten sind).
Die Drohne haben wir damals gekauft, nachdem wir einen Vortrag von einem Fotografen gesehen hatten, der mit dem Bulli von Istanbul bis zum Nordkap gefahren ist – und während des Vortrags immer wieder fantastische Aufnahmen aus der Luft gezeigt hat. Da habe ich zum ersten Mal gedacht, dass eine Drohne selbst dann großartig ist, wenn man gar nicht vorhat, einen Kinofilm zu drehen oder seine Abenteuer auf einer Vortragsreise zum Besten zu geben: Man kann damit die Landschaft aus einer Perspektive sehen, die einem sonst verschlossen bleibt. Den Weg, auf dem man wandert oder entlangfährt, auf eine weitere Weise erkunden. Und Wälder, Seen, Berge, Täler von oben sehen, zu denen man zu Fuß oder mit dem Bus gar nicht gelangt. Ich, die nachts gerne mal vom Fliegen träumt und im Schlaf schon über alle Landschaften dieser Welt hinweggeschwebt ist (ohne Flugmaschine oder Flügel, einfach nur so), liebe solche Luftaufnahmen. Und Nico, der Tekkie, war natürlich sofort Feuer und Flamme von dem kleinen Gerät (eine DJI Mavic Air, falls das jemanden interessiert) und hat sich ins Drohnenfliegen hineingefuchst.

Für meinen Geschmack hätten wir noch ewig auf diesem Stellplatz bleiben können. Aber gestern Morgen ist der Kühlschrank bedenklich leer und unsere 60 Liter Wasser so gut wie verbraucht. Außerdem haben wir ja noch das Hundefutter an Bord – und mich zieht es zurück zu den beiden kleinen Hunden in der Bucht bei Epdiauros. Aber erst einkaufen – und auf dem Weg zum Supermarkt noch einen Abstecher in den Campingladen, einen RICHTIGEN Campingladen, den wir am Montag an der Straße zwischen Nafplio und Argos entdeckt hatten (der aber, wie so vieles andere an diesem nervigen Tag, geschlossen war). Wir wittern unsere Chance auf eine Picknickdecke! Betreten den kleinen aber bis unter die Decke vollgestopften Laden und wähnen uns im Ausstattungshimmel: Endlich ein paar Outdoor-Marken und Produkte, die wir von zuhause kennen. Wandern, Schwimmen, Tauchen, Angeln, für alles gibt es das passende Equipment. Die gesamte rechte Hälfte des Ladens ist dem Jagdsport vorbehalten. Regalmeterweise Munition und Vitrinen voller Waffen – so etwas habe ich zuletzt bei Walmart in den USA gesehen, und es hat mich schon damals seltsam berührt, dass diese Dinge in „normalen“ Geschäfte verkauft werden anstatt hinter dicken Stahltüren, durch die man nur hindurchgelassen wird, wenn man das Klopfsignal und das Geheimwort kennt… Eine Picknickdecke haben sie nicht. Dafür besitze ich jetzt eine superleichte, wasserdichte Mütze mit Fellklappen über den Ohren und einen kuscheligen Schlauchschal mit einem Extrastück Fleece. Soll kalt werden nächste Woche – auch wenn wir uns das derzeit bei 21 Grad und Sonnenschein nicht vorstellen können.

Als wir gegen Abend endlich mit unserer Einkaufstour fertig sind und in Epidauros den ausgewaschenen Weg zur Bucht hinunterholpern, hüpft mein Bauch vor Vorfreude: Ich bin so gespannt, ob die Hunde uns nach zehn Tagen wiedererkennen und sehe sie vor meinem inneren Auge schon bellend auf uns zustürmen und mich ihnen eine Schale mit Futter hinstellen. Unten angekommen ist niemand da. Kein anderer Camper – aber auch keine Hunde. Ich laufe die gesamte Bucht ab, finde aber keine Spur von ihnen. Bin ein bisschen traurig. Aber vielleicht kommen sie ja später oder morgen? Das Abendlicht senkt sich zart aufs Meer herab und wir sitzen zum ersten Mal seit Oktober bis spätabends draußen vor dem Bus – zwar in Daunendecken gehüllt und ich mit meiner neuen Mütze auf dem Kopf -, Licht nur aus dem Schraubglas mit kleinen Erinnerungsstücken und einer feinen Lichterkette, das meine beste Freundin mir vor der Abreise geschenkt hat, und von einer Million Sterne am Nachthimmel.

Auch heute früh keine Hunde. Sind sie weitergezogen? Ist ihr Revier so groß, dass sie nur alle paar Tage mal hier vorbeikommen? Hat sie jemand mitgenommen? Immer wieder halte ich Ausschau – aber es kommen nur weitere Camper. Dieser Platz, den der Reisende in Tyros uns ans Herz gelegt hatte, ist auch bei Park4Night gelistet – drei andere Vans stellen sich im Laufe des Tages noch hier unten auf. Das gefällt uns nicht – nicht nur wegen Corona, auch, weil wir das den Einheimischen gegenüber, von denen ebenfalls einige im Laufe des Tages hier herunterkommen zum Angeln, Spazierengehen oder Telefonieren, aufdringlich und irgendwie besitzergreifend finden. Uns ist Rudelbildung unangenehm, Wildcampen wird auch in Griechenland maximal geduldet und ist keinesfalls erlaubt. Man muss sein Glück ja nicht herausfordern und wir würden uns inzwischen nicht mehr irgendwo dazustellen, wenn da schon ein anderer Camper steht (auf Sardinien haben wir das einmal gemacht – mit dem Ergebnis, dass wir am nächsten Tag von der Polizei hopsgenommen wurden). Wenn die anderen Vans morgen auch noch bleiben und die Hunde nicht auftauchen, fahren wir zurück auf unseren Berg am Kloster, wo wir niemanden stören und niemand uns.

4 Kommentare

  1. Danke für den Bericht, der den Frühling ahnen lässt. Hier haben wir Schnee und – 6 Grad am Tag , nachts soll es auf -14 runter gehen , es schneit auch immer noch. LG und weiterhin eine gute Zeit .

  2. Ja, das ist nervig, dass Leute keine Scheu haben, sich (zu) dicht zu einem zu gesellen. Habe da auch schon oft das Weite gesucht. Das ist übrigens ein Grund, warum Park4Night nur die letzte Alternative für mich ist, um mir einen Schlafplatz zu suchen, wenn überhaupt. Das ist aber auch der Grund, warum ich meine Plätze nicht bei Park4Night einstelle …

    Danke für diesen und auch alle anderen sehr anschaulichen Berichte.

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