Griechisch Roulette

Wir haben einen Plan. Gestern morgen haben wir beschlossen, uns nicht länger dem Stillstand zu ergeben, sondern endlich wieder in Bewegung zu kommen. Da wir nach wie vor nicht wissen, ab wann wir wieder innerhalb Griechenlands reisen dürfen, haben wir genau genommen zwei Pläne: Denn am Freitag will die griechische Regierung bekannt geben, ob zum orthodoxen Osterfest Ende April das Reisen zwischen den Regionen wieder gestattet ist, oder ob das Verbot erst zum 14. Mai, wenn Griechenland für den Tourismus öffnen will, aufgehoben wird. Je nachdem, wie diese Entscheidung ausfällt, greift Plan A oder Plan B. Wir werden in jedem Fall noch bis Freitag bei Theo bleiben, dann werden wir uns mittags in den Bus setzen, die Nachrichten lesen, und wissen, ob wir Richtung Fähre nach Kreta fahren (wenn das Reiseverbot nächste Woche aufgehoben wird), oder ob wir Griechenland Richtung Norden verlassen (wenn es erst Mitte Mai aufgehoben wird). Griechisch Roulette mit zwei Kugeln.

Mr. Norris wird entstaubt, bevor er endlich wieder verreisen darf: Seit Wochen weht ihm Saharasand aufs Dach, den der „Scirocco“ übers Mittelmeer bringt.

An dieser Stelle haben wir ein Geständnis zu machen. Kreta ist für uns nicht nur deswegen ein so unbedingt herbeigesehntes Reiseziel, weil die Insel wunderschön sein soll. Es gibt noch einen anderen Grund, weswegen wir seit Wochen um die Möglichkeit herumschleichen, dorthin zu gelangen: einen L300 mit langem Radstand, Allradantrieb und Hochdach. Ja, genau, der L300, der uns im November schon in eine Sinnkrise gestürzt hat, als wir uns tagelang mit der Frage geplagt haben, ob Mr. Norris zu klein für uns ist und wir mit seinem großen Bruder besser dran wären. Nicos Traumfahrzeug. Das es in der Kombination mit langem Radstand, Allrad und fest installiertem Hochdach seinen monatelangen Online-Recherchen zufolge in Europa ziemlich genau ein einziges Mal gibt: nämlich bei einem großen Gebrauchtwagenhändler auf Kreta. Die Tatsache, dass es dort seit November steht, begründen wir mit dem Lockdown: Der Händler dürfte wenig Chancen gehabt haben, ein so spezielles Fahrzeug zu verkaufen, wenn alles geschlossen ist und niemand nach Kreta darf. Und wir interpretieren es als Zeichen: Der wartet dort auf uns, damit wir ihn zumindest mal anschauen können. Ich habe meinen inneren Widerstand, über einen Fahrzeugwechsel ernsthaft nachzudenken, meinem Ehemann zuliebe aufgegeben: Da er der wesentlich Größere von uns beiden ist (der Ehemann, nicht der Widerstand), gebietet es die Fairness, dass wir uns einen Wagen mit Stehhöhe, in dem wir nicht mehr zusammengekauert mit dem Kopf am Dachhimmel sitzen müssten, zumindest einmal anschauen. Die vielen Wochen auf Reisen bei niedrigen Temperaturen haben uns gezeigt, dass die Höhe des Fahrzeugs einen beträchtlichen Einfluss auf die Lebensqualität hat. Wir haben das beim Ausbau einfach komplett falsch eingeschätzt: Wir sind davon ausgegangen, dass wir nur gelegentlich Regentage oder kalte Abende im Businnern aussitzen müssen. Die Realität eines Winters selbst in einem klimatisch so milden Land wie Griechenland hat uns gezeigt, Das in der Praxis anders läuft. Und wenn man viele Stunden am Tag viele Wochen am Stück in einem so kleinen Fahrzeug hockt, dann geht das an der Substanz. Auch wenn ich nach wie vor einen Höllenrespekt sowohl vor dem finanziellen als auch vor dem arbeitstechnischen Aufwand habe, ein zweites Fahrzeug komplett neu auszubauen, möchte ich mir die Alternative zumindest mal anschauen.

Nicos Traumfahrzeug.

Daher endet auch Plan B auf Kreta: Sollten wir erst ab Mitte Mai wieder auf die Fähre dürfen, machen wir uns Freitag erstmal auf in Richtung Schweiz, um uns dort mit unseren Freunden Simone und Markus zu treffen. Die beiden sind ebenfalls als Camper unterwegs und wollen, wenn coronatechnisch möglich, dort ihren Urlaub verbringen – und da wir Sehnsucht nach Zeit mit Freunden haben und einfach mal wieder unterwegs sein wollen, haben wir uns gedacht, warum nicht die Schweiz? Für den Weg dorthin könnten wir uns gut zwei Wochen Zeit lassen – und mehr ist auch nicht sinnvoll, da die meisten Länder, durch die wir durchreisen würden, Inzidenzen haben, die nicht gerade zum Verweilen einladen. Ende Mai würden wir dann nach Kreta reisen, ob zurück auf dem Landweg oder mit dem Flugzeug wissen wir noch nicht.

Soweit also die Theorie, wie lange deren Halbwertzeit diesmal ist, werden wir sehen. Auf jeden Fall fühlt es sich gut an, zwei Pläne zu haben, die uns, je nach Ausgangslage, beide realistisch erscheinen. Wir sind mehr als bereit, wieder auf Reisen zu gehen – und Mr. Norris ist es seit heute auch! Tadaaaa – das Projekt Warmwasser ist abgeschlossen! Und wir sind um eine positive Erfahrung in Griechenland reicher: Theo hatte uns eine Autowerkstatt, in die er seit 20 Jahren mit seinen Fahrzeugen fährt, ans Herz gelegt – und der Service dort war einfach der Knaller! Aufgesucht haben wir die Werkstatt, weil Nico beim Anschluss der Warmwasser-Anlage an den Kühlkreislauf des Busses an seine Grenzen gestoßen ist: Das wollte er nach einiger Überlegung doch lieber einen Fachmann machen lassen. Auch Keilriemen spannen und Ventilspiel prüfen stehen schon seit einer ganzen Weile auf unserer To-do-Liste – alle drei Aufgaben haben Vater und Sohn in der Werkstatt mit einer Akribie und Perfektion umgesetzt, die jeden deutschen Ingenieur vor Neid erblassen lassen würde – und das zu einem Preis, für den kein deutscher Mechaniker auch nur den Schraubenschlüssel in die Hand nehmen würde. Wir haben beinahe ein schlechtes Gewissen und sind froh, dass Theo uns den Tipp gibt, den Herren eine große Schachtel Gebäck als kleines Zeichen unserer Wertschätzung mitzubringen. Die Schachtel Gebäck hätte auch Theo verdient: Heute früh um 8.30 Uhr ist er mit uns zur Werkstatt gefahren, die etwa 25 km von Nafplio entfernt zwischen Argos und Mykene liegt (sollte je jemand von euch einen Automechaniker brauchen, wenn er gerade dort in der Gegend ist, ruft mich an: Ich werde die Adresse mit Freuden weitergeben!). Nimmt extra die Panoramastrecke über die alte Landstraße zwischen Nafplio und Athen, vorbei an in der Morgensonne liegenden Orangenhainen, deren zarter Blütenduft durch unsere halb geöffneten Fenster strömt. Fährt uns dann in seinem Auto die 25 Kilometer wieder zurück, da wir den Bus in der Werkstatt lassen müssen. Hält mit uns an einem Olivenhain, in dem er 55 Bäume sein Eigen nennt und pflegt und zeigt uns, wie man an den Stämmen einer Olive Zweige einer anderen Sorte so befestigt, dass sie dort festwachsen und dem Baum frische Triebe und mehr Ertrag bringen. Macht auf dem Heimweg nach Nafplio an einer der ältesten Kirchen der Region Halt, um uns auf ihre Besonderheiten aufmerksam zu machen. Und fährt dann mit uns in Nafplio noch zu einer Polsterin, die uns bis Donnerstag drei neue Sitzkissen für unseren Bus fertigen wird. Ach ja, unterwegs klappern wir noch ein paar Elektroläden ab, weil Nico auf der Suche nach einem speziellen wasserfesten Stecker ist. Den finden wir zwar nicht, aber egal, der Tag fühl sich an, wie ein einziger großer Ausflug, und das ist superschön nach so vielen Wochen, die wir mehr oder weniger in unserem Apartment und auf Theos Hof verbracht haben. Ich kriege jetzt schon ein trauriges Gefühl im Bauch, wenn ich an den Abschied von Theo und Eleni am Freitag denke – aber ich bin gleichzeitig sicher, dass wir nicht das letzte Mal hier bei ihnen waren…

Apropos Olivenanbau: Sollte sich irgendjemand nach Lektüre meines letzten Beitrags gefragt haben, ob Theos Katze tatsächlich schwanger ist – sie hat vor zwei Tagen vier zuckersüße, winzig kleine Katzenbabys auf die Welt gebracht.

2 Kommentare

  1. Hallo Ihr Lieben,
    wir wollten uns mal für die monatelange Belieferung mit feinstem Lesestoff und -vergnügen ganz herzlich bedanken und uns erkenntlich zeigen mit dem Hinweis auf ein Fahrzeug, welches Nicos Objekt der Begierde doch recht nahe kommen sollte: https://suchen.mobile.de/fahrzeuge/details.html?action=parkItem&id=318642142
    Steht jetzt nicht direkt auf (dem Weg nach) Kreta, eher diagonal entgegengesetzt, so schräg gegenüber von der Schweiz …
    Viele liebe Grüße
    Eva + Ralf

    1. Hallo Eva und Ralf, danke für die netten Worte – und für den Fahrzeugtipp! Wie habt Ihr den denn gefunden?? Gehört Ihr auch in die L300-Gemeinde? 😉 schauen wir uns auf jeden Fall mal genauer an, ein einziges Ass im Ärmel ist tatsächlich ein bisschen wenig…

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