Oh, wie schön ist Oregon

Oregon verzaubert uns vom ersten Moment an. Kurz erwähnte ich im letzten Post den Berg, auf dem wir drei Tage und Nächte lang geblieben sind. Was für ein Auftakt in dem Bundesstaat, dessen Motto „Alis volat propriis“ – Sie fliegt mit ihren eigenen Flügeln – mir gleich gefallen hat. Denn irgendwie fühlen wir uns eigentlich schon auf der Durchreise Richtung Kanada und wählen unsere Schlafplätze eher nach pragmatischen Erwägungen. Möglichst nah an der Strecke, muss nicht unbedingt in der Natur sein, ist ja eh nur für eine Nacht. Der LKW-Rastplatz, auf dem wir eigentlich stehen wollen, erweist sich jedoch als klein, heiß und überfüllt. Also fahren wir ein paar Kilometer weg vom Highway, folgen einer gewundenen, immerzu bergan führenden Schotterpiste hoch zu einem Paraglider-Startplatz – und werden von einem 360 Grad-Rundumblick und einem Toilettenhäuschen empfangen. Und keine Menschenseele hier oben, die wir stören könnten! Die Sonne geht gerade malerisch zwischen den gegenüberliegenden Bergen unter und taucht das Tal in goldenes Licht. Wir beschließen sofort, auch noch am nächsten Tag zu bleiben – den Sonnenuntergang würden wir gerne ein zweites Mal sehen! Der Internetempfang ist perfekt, wir haben eh noch einiges am Rechner zu tun, und mit solch einem Ausblick geht das gleich leichter von der Hand. Aus zwei Tagen werden drei, jeden Abend besucht uns eine Familie von vier Wapitis, die um unseren Bus herum stakst und immer mal wieder einen neugierigen Blick riskiert.

Nächster Halt: Crater Lake. An der Stelle dieses fast kreisrunden, tiefsten Sees Nordamerikas lag vor 7.700 Jahren der Gipfel eines Vulkans. Bei seinem Ausbruch hat er seine komplette Spitze weggesprengt, zurückgeblieben ist ein See mit einem Durchmesser von neun Kilometern und einer Tiefe von fast 600 Metern, der sich nur aus Regen- und Schmelzwasser speist. Berühmt ist er für seine tiefblaue Farbe, von der wir allerdings nichts sehen: seit dem Gewitter über dem Grand Canyon haben wir keinen Regen gesehen, aber just in dem Moment, in dem wir im Crater Lake Nationalpark ankommen, zieht der Himmel immer mehr zu und es beginnt zu regnen. Was der Schönheit des Crater Lake jedoch keinen Abbruch tut: Er sieht auch in Grautönen faszinierend aus. Und wir sind nach den letzten heißen Tagen dankbar für die Abkühlung.

Auf Scenic Byways – Nebenstraßen, die als landschaftlich besonders reizvoll ausgewiesen sind – geht es weiter durch Oregon. Erst bin ich ein wenig enttäuscht: Ich habe einiges an Zeit investiert, um auf der Karte vielversprechend aussehende Straßenabschnitte so miteinander zu kombinieren, dass wir einen möglichst umfassenden Eindruck von den Oregon Cascades bekommen. Die eher niedrige Gebirgskette ist berühmt für ihre grünen Wälder und für einige hohe Vulkane, deren Gipfel auch im Sommer noch schneebedeckt sind. Vor meinem inneren Auge hatte ich lauschige Laubwälder und weiß leuchtende, in den postkartenblauen Himmel ragende Gipfel gesehen. Die Landschaft, durch wir fahren, wirkt auf mich zunächst jedoch eher eintönig. Ich bin ja kein großer Fan von Nadelwald, doch genau das ist es, was sich rechts und links der Straße erstreckt. Unterbrochen immer wieder von durch Waldbrände zerstörten Abschnitten, aus denen schwarze oder weiße Baumskelette traurig in den dunstigen Himmel ragen. Als wir das Örtchen Sisters erreichen, von dem aus man einen Blick auf die drei gleichnamigen Vulkangipfel hat, die dort direkt aus der Ebene in den Himmel zu wachsen scheinen, hüllen sich die Schwestern ebenfalls in Dunst. Wir überlegen, uns auf einem Campingplatz im Ort einzuquartieren, um uns im lokalen Saloon über die milde Tristesse des Fahrtags hinweg zu trösten. Aber der Platz liegt direkt an der viel befahrenen Durchfahrtstraße und für nächtlichen Autolärm mögen wir keine 30 Dollar bezahlen – das bekommen wir auf jedem Truck Stop umsonst. Also fahren wir weiter, einen letzten Scenic Byway.

Und diese letzten gut 100 Kilometer nach Eugene entschädigen uns mehr als reichlich für die Not-so-Scenic Byways davor. Zunächst durch eine ganz eigentümliche Schönheit. Riesige Lavafelder von Vulkanausbrüchen, die Tausende von Jahren zurückliegen, reichen bis an die Straße heran. Falsch. Die Straße wurde vor einer Zeit, die für einen Vulkan nicht mal ein kurzes Zwinkern her ist, durch die längst erkalteten Lavafelder hindurch gebaut. Waldbrände haben zudem manche Abschnitte in Geisterwälder verwandelt. Es sieht so aus, als seien die Bäume von der Hitze des Vulkans versteinert worden. Was natürlich nicht stimmt, aber irgendwie passt der geschundene Wald hier auf surreale Weise ins Bild. Wir landen an einem kleinen See und bleiben für die Nacht (und ich passe einen PCT-Hiker auf seinem Weg zum Wasserholen ab und löchere ihn zehn Minuten lang im Schnellfeuergewehrtempo mit meinen Fragen, bevor ich ihn weiterziehen lasse. So viele Fragen…). Fahren am nächsten Tag weiter durch Lavafelder – und landen dann plötzlich in einem so berauschenden Grün, wie ich es mir in meinen Traumbildern ausgemalt habe. Üppig, saftig, verwunschen, voller Laubbäume, Farne, Moose, Steine und Sonnenflecken, vom munter dahinrauschenden McKenzie River wie von einem glitzernden Band durchzogen. Nach wenigen Kilometern kommen wir an einem Campingplatz an, der so einladend direkt am Fluss und  unter riesigen Bäumen liegt, dass wir spontan beschließen, für zwei Nächte zu bleiben. Einfach mal ausblenden, dass wir eigentlich noch 1.500 Kilometer vor uns haben, bis wir am 8. August in Vancouver sein müssen, um Linda vom Flughafen abzuholen – und dass es bis dahin nur noch sechs Tage sind.

Dann müssen wir Gas geben. Huschen an friedlichen Farmen und wogenden Wiesen vorbei, durch Eugene hindurch und weiter an die für ihre erlesene Schönheit bekannte Oregon Coast. Verbringen eine Nacht auf dem Parkplatz des Three River Casinos in Florence – eigentlich einen eigenen Blogbeitrag wert, hätte ich doch nur mehr Zeit zum Schreiben… Und cruisen am nächsten Tag gemütlich auf der 101 – der Verlängerung des kalifornischen Highway 1 – am Pazifik entlang.

Der Highway 1 war für mich eher ein Frusterlebnis. Nicht, weil die Szenerie ihrem Ruf nicht gerecht geworden wäre: Die Steilküste zwischen Los Angeles und San Francisco ist atemberaubend und einzigartig und wirkt durch den Nebel, der sich während unserer Tour immer wieder vom Ozean aus über die schroffen Felsen und die bewaldeten Hügel hinauf schiebt, noch geheimnisvoller. Aber wir fahren die Straße von Süd nach Nord – was bedeutet, dass ich als Beifahrerin genau auf der falschen Seite sitze. Die ganze Zeit verrenke ich mir den Hals, um zwischen Nico, B-Säule und Kopfstütze einen Blick auf das Panorama zu erhaschen. Immer wieder will ich für Fotos anhalten, das geht aber nur selten, da fast alle Haltebuchten an der Seeseite des Highways liegen – also nur durch Kreuzen der Gegenfahrbahn erreichbar sind. Macht man besser nicht bei den vielen Kurven… Nico muss sich die ganze Zeit höllisch aufs Fahren konzentrieren, ich maule die ganze Zeit, weil ich nichts sehen und keine Fotos machen kann – und so haben wir beide nicht so richtig was von der Strecke. Jetzt, auf dem oregonischen Abschnitt der Küstenstraße, nehme ich mir vor, nicht auf tolle Fotogelegenheiten zu hoffen, sondern einfach zu gucken und die Fahrt zu genießen. Das klappt ziemlich gut – und es sind sogar ein paar schöne Fotos dabei entstanden. Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichen wir den Cannon Beach mit seinem berühmten Haystack Rock – ein goldener Abschluss für unsere Zeit in Oregon. Und unsere Zeit in den USA – denn jetzt geht es weiter nach Kanada! Unser Visum läuft aus und wir ziehen weiter gen Norden – aber wir kommen im Herbst noch mal wieder, also ist es nur ein Abschied auf Zeit.

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