Indian Summer light

Unsere Tage sind golden. Warmes Herbstlicht durchflutet sie und lässt das sich allmählich verfärbende Laub der Bäume leuchten. So prachtvoll, wie wir es von Bildern von der Ostküste Nordamerikas kennen, fällt der Indian Summer hier im Süden British Columbias sicher nicht aus: Die Gegend ist dominiert von immergrünen Nadelbäumen. Aber es haben sich genug Laubbäume dazwischen gemogelt für goldgelbe Tupfen und ein zauberhaftes Gesamtbild. Und wir haben tatsächlich mal einen Plan so in die Tat umgesetzt, wie wir ihn gefasst haben: Wir lassen es ruhig angehen und gondeln ganz gemütlich durchs wunderschöne Okanagan Valley. Das Tal, auf dessen Grund der riesige Okanagan Lake liegt, gilt als der Obstgarten Kanadas: Die Äste der Apfelbäume tragen schwer an rosaroten Früchten, die Weinlese ist bereits abgeschlossen und die Rebstöcke wiegen nur noch ihre zartgrünen Blätter im warmen Wind. Das Tal ist berühmt für sein Mikroklima, und wir kommen in den vollen Genuss sommerwarmer Spätseptembertage und kühler Nächte. So richtig touristisch geht es hier noch nicht zu, die Sehenswürdigkeiten sind liebenswert unspektakulär und von einem beinahe antiquierten, aber mit Bedacht gepflegten Charme. Eine 120 Jahre alte Nussfarm spendet verschlafen Schatten am Seeufer, die winzigen alten Holzgebäude dösen neben einem rostigen kleinen Traktor in der Sonne. Wir bleiben hängen und verträumten einen Nachmittag am See. Lassen das große Kelowna, mit 100.000 Einwohnern eindeutig der urbane Platzhirsch am See, links liegen und fahren ans Südende nach Penticton. Wollen eigentlich nur zu Abend essen und bleiben dann zwei Tage. Schlendern an der Seepromenade entlang, vorbei an charmanten Motels mit Namen wie „Slumber Lodge“, „Spanish Villa“ oder „Tiki Shores“. Ein Rosengarten, ein hölzerner Raddampfer, ein „Adventure Park“ mit anrührend harmlosen Vergnügungen wie Kletterseilen und Hängebrücken, schon für die Saison geschlossen. Ein Ort wie aus der Zeit gefallen.

Wir tuckern weiter, zur Ostseite des Tals, Richtung Kettle Valley. Auf einer alten Eisenbahntrasse, die das Okanagan Valley bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts an die Zivilisation angeschlossen und für das Erblühen der Region gesorgt hat, fahren heute Fahrräder: Der Kettle Valley Trail gehört zu den schönsten Radstrecken Kanadas, wie uns Wes und Norma versichern, die wir während eines Zwischenstops an einem Park kennen lernen. Seit 15 Jahren in Rente, touren die beiden in ihrem alten Ford Roadtrek mehrfach im Jahr für Wochen kreuz und quer durch Kanada und die USA, die Fahrräder immer dabei. Wir mieten uns Räder und radeln eine Etappe des Kettle Valley Trails, der sich über 18 alte Eisenbahnbrücken und durch zwei Tunnels durch den Myra Canyon schlängelt. Ich stelle mir vor, wie hier vor 70 Jahren eine pfeifende Dampflok an den steil aufragenden Felswänden entlang und über die Brücken rattert, der Lokführer auch nach vielen Jahren im Dienst noch nicht blind für den Zauber des Tals.

Auf Nebenstraßen verlassen wir das Valley nach drei Tagen erst südwärts, dann weiter Richtung Osten. Der schmale und gemütliche Crowsnest Highway verläuft parallel zur kanadisch-amerikanischen Grenze und führt in vielen Kurven am Kettle River entlang durch immer bergiger werdendes Gelände. Wir gleiten durch das goldene Oktoberlicht, vorbei an glitzernden Seen und von einem heißen Sommer gebleichtem Weideland, das im sanften Wind wogt. Hier und da kleine Ortschaften, deren Hauptstraße man die Western-Architektur noch ansieht. Und landen durch Zufall (Nico hat keine Lust mehr, zu fahren, obwohl unser anvisierten Übernachtungsplatz für den Tag noch 45 Minuten entfernt liegt) an einem versteckten See. Hier stehen wir immer noch und fühlen uns wie in einem Bilderbuch. Kanada gibt zum Abschied noch mal alles, und wir nehmen es dankend an.

Samstag wollen wir über die Grenze zurück in die USA, vorher noch einen kurzen Abstecher in den Waterton Nationalpark, der direkt an der Grenze zu Montana liegt. Zwei Monate haben wir dann in Kanada verbracht – und das Land war gut zu uns. Seine grandiose Bergwelt und die 1001 Seen haben mein bergverliebtes Herz erfreut. Endlose Freihsteh-Möglichkeiten, Trinkwasser und Toiletten, wann immer man sie braucht, idyllische Rest Areas und nette Campingplätze haben uns das Reisen leicht gemacht. Die absurd hohen Preise für Bier und Wein haben wir der kanadischen Getränkeindustrie inzwischen verziehen. Und mindestens so berührend wie die Berge waren für uns die Begegnungen mit den Menschen: Steve und Barb, die vertrauensvoll ihr Haus und ihren Hund in unsere Hände gegeben haben. Wally, die uns mit Pflaumenkuchen und Wein versorgt und mit Abenteuergeschichten aus Indien und China erfreut hat. Anna und Anne von Perspektivan, mit denen wir gleich drei ganze Tage verbracht haben. Dennis und Ritchie, zwei junge Holländer, die wir beim Wandern getroffen und mit denen wir am nächsten Abend ein Pasta-und-Wein-Gelage auf einem Parkplatz mitten im Nirgendwo gefeiert haben. Adrienne aus Baltimore, die mit ihrem Hund Tigger Mac und einem Sixpack Bier spontan dazu gestoßen ist. Die beiden deutschen Reisenden, die uns den Kettle Valley Trail empfohlen haben und Thomas, der deutsche Auswanderer, dem wir den Tipp mit der Nussfarm verdanken. Barbara und Nils, die uns auf unser Delmenhorster Nummernschild angesprochen (wie sich herausstellte, sind Barbara und ich in der selben Kleinstadt aufgewachsen) und uns später in die Welt des Indian Pale Ale eingeführt haben. Wes und Norma, die uns mit ihren Reisegeschichten, ihrer Neugier und ihrer Energie inspiriert haben. Sie alle haben Kanada für uns zu einem wirklich besonderen Erlebnis gemacht.

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